Fallbeschreibung der Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter
e.V. (HsM) (Seit 2016 gibt es diesen Verein nicht mehr) 4.7. Einblicke in die praktische Arbeit
von HsM
Sehr unterschiedlich sind die Anliegen, mit denen Menschen
HsM anrufen. Immer wieder ist es wichtig, zu
differenzieren und die Einzelsituation mit all ihren Facetten
zu erfassen. Aus der Vielzahl der Beispiele sollen einige
wiedergegeben werden. Allerdings können diese nur
facettenhaft - schon wegen datenschutzrechtlichen Be denken -
wiedergegeben werden. Anliegen ist, die Not Betroffener und die
praktische Hilfe von HsM darzustellen.
Fallbeispiel: "Denunziation Ein älterer Herr sucht die
Beratungsstelle auf mit der Bitte um Unterstützung in fol- gender
Angelegenheit: Seine 81jährige Freundin, vollkommen geistig und mit
altersgemäßen Einschränkungen körperlich gesund, wird vom
Vormundschaftsgericht aufgefordert, sich einer Begutachtung durch
eine Amtsärztin zu unterziehen. Woh- nungsnachbarn hätten sich an
das Gericht gewandt und ihre Betreuung angeregt. Zuvor hatte sie einen Brief der örtlichen Betreuungsbehörde
erhalten, der den Besuch einer Mitarbeiterin ankündigte. Zwei
Nachbarinnen hatten der Behörde gegenüber ihre Besorgnis geäußert,
dass die alte Dame Probleme habe, im Alltag in ihrer Wohnung
zurechtzukommen. Einmal sei sogar die Polizei da gewesen, als sie
sich ausgesperrt habe, so dass sie sich große Sorgen um das
Wohlergehen der Frau S. machten.
Zu dem angekündigten Besuchstermin zieht diese es vor, nicht zuhause
zu sein. Sie verbringt den Nachmittag bei ihrem Freund. Die
Nachbarinnen lassen aber nicht lo-cker und wenden sich erneut mit
der Schilderung verschiedener Ereignisse, die sich angeblich
zugetragen hätten, ans Gericht. Daraufhin ordnet der zuständige
Richter die Begutachtung an mit der Androhung einer polizeilichen
Vorführung, falls sich Frau S. weigern sollte, den Termin
wahrzunehmen. Der Freund, ein pensionierter Offizier, lässt sich
aber nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Ihm ist bekannt, dass es
im Haus in der Eigentümergemeinschaft Spannungen gibt und die
beiden Nachbarinnen hoffen, Frau S., ihre Miteigentümerin, die bei
Beschlüssen über die Verwaltung nicht immer mit ihnen übereinstimmt,
auf eine besonders elegante Art loszuwerden: Eine ihrer
Nachbarinnen weiß aus ihren beruflichen Zusammenhängen, dass viele
alte Menschen mit der Begründung zur Wohnungsaufgabe gezwungen und
in Altenheime eingewiesen werden, sie gefährdeten sich und andere.
Wie wir am Notruftelefon immer wieder hören, wird bei älteren
Menschen beinahe automatisch vermutet, sie seien altersverwirrt und
nicht mehr in der Lage, in ihrer Wohnung zurechtzukommen, z.B. mit
Gas, Wasser und Elektrizität sorgfältig umzugehen.
Frau S. ist aber ansonsten beliebt im Haus. Der Polizist, dessen
Einschreiten angeb- lich notwendig war, wohnt als Mieter ebenfalls
im Erdgeschoss und unterstützt seine Nachbarin gerne - zumal sie ihm
ihren Stellplatz zu Verfügung gestellt hat. Der Freund ist sehr
aufgebracht, Frau S. hat dagegen schon allen Mut verloren. Beide
fühlen sich einer mit Staatsgewalt ausgestatteten Übermacht
gegenüber. Sie be- fürchten, dass sie als alte Menschen gar keine
Chance haben, gegen diese Phalanx besorgter sicherheitsbewusster
Amts- und Privatpersonen ihre Rechte auf Selbstbestimmung
durchsetzen zu können.
Es gelingt uns, den zuständigen Vormundschaftsrichter nach
Schilderung des Sach- verhalts und der Hintergründe, zu überzeugen,
dass es sich hier um einen der häufi- gen Fälle von Denunziation
alter Menschen handelt. Nach persönlicher Anhörung der Betroffenen
war er bereit, das Verfahren einzustellen. Quelle:
Broschüre 15 Jahre HsM - Reden und Handeln 1997 - 2012. Bonner
Initiative gegen Gewalt im Alter 1997 - 2012, S. 23 und 24.
www.hsm-bonn.de: |